Aus fußballähnlichen Spielen, die bis in das 12. Jahrhundert zurück verfolgt werden können, entstand der moderne Fußball 1863 in England als offiziell eingetragene Sportart. Schon in den 1870er Jahren zogen Fußballspiele in England teilweise zehntausende Besucher*innen an. Die Stadionbesuche boten den meist männlichen und proletarischen Arbeitern die Möglichkeit, die Limitierungen des Alltags temporär aufzubrechen und in der anonymen Masse Grenzen zu überschreiten. Auch Frauenfußball hatte bis in die 1920er Jahre in England noch Tausende Zuschauende, bevor er verboten und Fußball als »Männersport« vereinnahmt wurde.
Fußball stellt wie andere Sportarten ein binäres System dar, das an den Gedanken des Wettbewerbs gekoppelt ist. Das Prinzip »Wir gegen die Anderen« überträgt sich auf die Ränge. Das Spiel ist Ventil für Emotionen und Leidenschaften, die miteinander und gegeneinander ausgelebt werden: Verlieren und Gewinnen, Rivalität und Freundschaft, Zugehörigkeit und Abgrenzung. Über gemeinsame Farben und Gesänge stellt sich eine kollektive Identität von Generationen, Milieus und Gruppen her.
Im deutschen Militarismus des 19. und 20. Jahrhunderts stand Sport ganz im Zeichen der Vorstellung gestählter Körper und der Erziehung zum gehorsamen und disziplinierten Menschen. In Deutschland wurde geturnt und nicht Fußball gespielt. Erst als die Militärs Fußball als Mittel der körperlichen Ertüchtigung erkannten, konnte sich der vor allem unter Schüler*innen und Studierenden beliebte Sport nach 1900 auch hierzulande etablieren. Wie stark der Nationalismus in diesen Jahren wirkte, zeigt unter anderem das Bemühen, englische Fußballbegriffe einzudeutschen. Während überall in Europa bis heute »Corners« getreten oder »Penalties« ausgeführt werden, gibt es hierzulande Eckbälle und Elfmeter.
Fußball war zu dieser Zeit in Deutschland jedoch auch das Spiel eingewanderter Menschen. Viele Vereine gründeten sich um die Jahrhundertwende aus deren Communities.
Seit dem frühen 20. Jahrhundert wird Fußball in Deutschland mit dem Begriff des Volkssports belegt – obgleich die Hälfte der Bevölkerung (Mädchen und Frauen) bis in die 1970er Jahre aus dem aktiven Sport strukturell ausgeschlossen waren.
Nach dem zweiten Weltkrieg füllten sich die Stadien in Deutschland bald wieder mit Tausenden von Zuschauenden. Für diese Nachkriegsgeneration stellte Fußball einen positiven Identitätsraum zur Verfügung. Die Vergangenheit und die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands, die von vielen Menschen als nationale Demütigung empfunden worden war, rückte angesichts sportlicher Erfolge in den Hintergrund. Der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 war Höhepunkt dieser Entwicklung. Das »Wunder von Bern« sorgte dafür, dass sich die Deutschen in Ost und West – wenn auch nur im Sport – wieder auf Augenhöhe mit anderen Nationen sahen.
In dieser Zeit wurde Fußball einmal mehr als Männersport festgelegt. Frauen waren auf den Tribünen kaum anzutreffen, Frauenfußball war gesellschaftlich verpönt. Insofern bildete der Fußball in den 1950er und 1960er Jahren die sich in Deutschland restaurierenden traditionellen Geschlechterbilder ab.
Mit der Gründung der Bundesliga 1963 wurde der Fußball in der BRD durch die Einführung einer landesweiten Liga strukturell professionalisiert. Das erweiterte Angebot und die Regelmäßigkeit des Spielbetriebs öffnete den Fußball einer neuen Generation Heranwachsender. Fußball wurde Teil der bundesdeutschen Jugendkultur. Auch in der DDR war es ab Mitte der 1960er Jahre üblich, am Wochenende ins Stadien zu gehen oder selbst im Verein zu spielen.
Als Fans werden im Fußballkontext leidenschaftliche Anhänger*innen eines Vereins bezeichnet, die das Spielgeschehen und andere Informationen rund um das eigene Team aktiv verfolgen. Viele Fans investieren Zeit und Geld in ihr Fan-Sein, bilden häufig feste Bezugsgruppen, mit denen sie die Spiele erleben, und sind bisweilen in Fanclubs organisiert. Diese Gruppen und Cliquen haben in der Regel eigene Spieltagsrituale, wie eine gemeinsame An- und Abreise und den Abschluss in der Stammkneipe.
Schon ab den 1950er Jahren entstanden Fangruppen, die ihre eigenen Codes, Styles und Identitäten entwickelten. Die optische Erscheinung der unterschiedlichen Fankreise reicht von Kleidung ohne auffällige teambezogene Markierungen bis hin zur vollen Fanmontur mit Trikots, Schals und Schminke. Die große Masse bilden die, die sich selbst keiner spezifischen Fankultur zuordnen und oft als »normale« Fans benannt werden.
Die Fangruppen eines Vereins pflegen untereinander freundschaftliche Verhältnisse aber auch Rivalitäten oder haben kaum Berührungspunkte zueinander. Die Abgrenzung der Ultras oder Hooligans gegenüber »normalen Fans« dient dem Zweck, die Besonderheit des eigenen Fan-Daseins deutlich zu machen. Was sich intern zuweilen voneinander abgrenzt, inszeniert sich – zumindest im Rahmen des Spiels – dennoch als Gemeinschaft.
Ab den 1960er Jahren fallen in Deutschland zwei Entwicklungen ins Auge: Das Aufkommen organisierter Fans, sogenannter »Kutten«, und die meist unwidersprochene rechte Hegemonie in den Kurven. In den Stadien tobte oft ein Mob sogenannter »Fußballrowdys« und machte das Spiel für Gastteams und mitgereiste Fans zur riskanten Angelegenheit. Spielfelder wurden nach Toren gestürmt und Kabinen der Gäste belagert, zum Teil auch Schiedsrichter und Busse der Mannschaften angegriffen. Während der bundesdeutsche Fußball in den 1970er Jahren durch Europapokalsiege und den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1974 zu neuer Blüte gelangte, prügelten sich jedes Wochenende rund um die Fußballstadien junge Menschen den Alltagsfrust von der Seele. Die staatlichen Organe, die zur selben Zeit mit scharfen Repressionen gegen die politische Linke reagierten, ließen die sich selbst meist rechts positionierenden Fußballschläger weitgehend gewähren.
Anfang der 1980er Jahre tauchten neue Akteure in der deutschen Fußballfankultur auf: Skinheads. Durch ihr martialisches Auftreten in Gruppen und ihre extreme Gewaltbereitschaft prägten sie nun das mediale Bild der Fußballschläger. Während manche Skinheads ihre Distanz zum organisierten Neonazismus betonten, suchten andere die Nähe zu Neonazis. Es entstanden neonazistische Fanclubs wie beispielsweise die Dortmunder Borussenfront oder Wannsee ’83 (»Wannseefront«) in Berlin – beides Clubs, die sich in den vergangenen Jahren reaktivierten und in großen Partys 2012 und 2013 ihre 30-jährigen Bestehen feierten.
Die Fußballszenen differenzierten sich weiter. Ab Mitte der 1980er Jahre entstanden bundesweit Zusammenhänge, die sich explizit als Hooligangruppen verstanden. Diesen waren die Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans und der Polizei rund ums Spiel mindestens so wichtig wie das Spiel selbst. Wenngleich viele Hooligangruppen in Ost- und Westdeutschland von extrem Rechten dominiert waren und um 1990 häufig im Rahmen von Fußballspielen linke Projekte angegriffen wurden, so lässt sich nicht von einer homogenen neonazistischen Szene reden. In Städten wie Köln und Frankfurt waren schon in den 1980er Jahren auch Sinti in Hooligangruppen zu finden, was sie zum Ziel von Anfeindungen rechter Hooligans und Neonazis machte.
Zusammenkünfte in Fußballstadien machen gesellschaftliche Stimmungen wie unter einem Brennglas sichtbar. So zog auch der nationalistische Taumel nach der Wiedervereinigung Deutschlands machtvoll in den Stadien ein, verstärkt dadurch, dass die deutsche Nationalelf im Sommer 1990 zum dritten Mal Weltmeister wurde. Die Hooliganszenen aus Ost und West trafen direkt aufeinander und die Polizei hatte in den neuen Bundesländern weder das Personal noch die Autorität, die Auseinandersetzungen zu verhindern. In Gefahrensituationen griff die Polizei auch zu scharfen Waffen, wie zum Beispiel im November 1990, als Polizisten den Hooligan Mike Polley in Leipzig erschossen. Neonazis zählten Anfang der 1990er Jahre in den Stadien der ehemaligen DDR vielfach zu den dominierenden Gruppen. In vielen Städten – nicht nur in Ostdeutschland – entstanden Szenen aus überzeugten Neonazis, rechten Hooligans und gewaltaffinen Mitläufer*innen, die einen großen Anteil an den allwöchentlichen rechten Angriffen auf Migrant*innen und Linke hatten. Wenngleich viele der radikalen rechten Fans bürgerlich wurden, änderten sie ihre politischen Einstellungen nur unwesentlich. In den Kurven haben diese »Alten« noch heute oft eine exponierte Stellung. An vielen Orten der neuen Bundesländer sind sie Träger der »großen Erzählungen« des Widerstandes gegen das DDR-Regime.
Als deutsche Hooligans während der WM 1998 in Frankreich den französischen Polizisten Daniel Nivel zusammenschlugen und lebensgefährlich verletzten, reagierten die Sicherheitsorgane und Sportverbände repressiv: verstärkte Polizeipräsenz an Spieltagen, ein Zentralregister für gewalttätige Fans und Ausreiseverbote zu Großereignissen. Die Hooligans gerieten massiv unter Druck und verloren an Erlebniswert und Integrationskraft. Eine neue Fankultur eröffnete sich mit den Ultras, die in den Folgejahren zu den prägenden Gruppen in vielen Stadien werden sollten.
Während die Ultra-Fankultur in Ländern wie Italien auf eine Geschichte seit den 1950er Jahren zurückblicken konnte, mussten sie sich in Deutschland mühsam gegen Kutten, Skinheads oder Hooligans durchsetzen. Während die ersten deutschen Ultragruppen noch reine Männergruppen waren, setzten sukzessive auch Frauen ihren Zugang durch und prägen seit Mitte der 2000er Jahre die Fanszenen mit.
Mit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sollte sich die Fußballfankultur dann als weltoffen und tolerant präsentieren. Der Party-Patriotismus erlaubte die Identifikation mit einem neuen, geschichtslosen Deutschland. Viele vor allem junge Menschen trafen sich in Schwarz-Rot-Gold gekleidet zum gemeinsamen Feiern in den Stadien und auf den Fanmeilen. Autos und Balkone waren in Nationalfarben geschmückt. Fürs Erste schien der völkische und exklusive Nationalismus abgelöst. Dieses Bild bekam jedoch sichtbare Risse, als die deutsche Mannschaft das Halbfinale gegen Italien verlor und sich mancherorts gewalttätiger Nationalismus und Rassismus Bann brach. Die Party war vorbei, italienische Pizzerien und gegnerische Fans wurden zur Zielscheibe des Frusts. Überraschend kam dies nicht. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der während und nach der WM die Einstellungen der Fans untersuchte, verweist darauf, dass Ausschlussmechanismen durch Patriotismus und Nationalismus ähnlich seien und die, die als nicht zugehörig markiert werden, dieselben Abwertungen erfahren würden.
Der Fußball und seine Fankulturen bieten viele Anknüpfungspunkte für rechtes bis neonazistisches Denken. Das Dogma vom Fußball als »unpolitischer« Raum, das bis hinein in höchste Funktionärsgremien besteht, konnte zwar ansatzweise aufgebrochen werden, doch noch sorgt es vielerorts dafür, dass all die problematischen Werte und Riten, die auf den Rängen kultiviert werden, nur wenig hinterfragt werden können. Die oft starken Bezüge auf Heimat und Traditionen verbinden sich mit einem Nationalismus und Patriotismus, der häufig primär als Lokalpatriotismus auftritt. Immanent ist diesem die Vorstellung des eigenen Territoriums, das gegen einen äußeren Gegner verteidigt werden müsse. Vor allem sind die Fankurven noch immer eine Bastion weißer Männer, die sich in wöchentlichen Ritualen ihrer dominanten gesellschaftlichen Stellung versichern. Der »Männersport« und die Ideale von Kampf, Stärke, Aufopferung und Ehre bilden zuweilen nur eine »sportliche Variante« soldatischer Männlichkeitsbilder. Nicht nur in der Rivalität zu den Fans anderer Vereine, sondern auch in vielen Fankurven selbst herrscht das Recht des Stärkeren oder das Recht der Etablierten, dass von den »Anderen« (auch unter den eigenen Fans) Unterordnung verlangt. Es ist insbesondere die Sinnstiftung durch kollektive Identität, Männlichkeit und Macht, die auch manche jungen Ultras für rechte Ideologien empfänglich macht.
Seit Jahren bestehen Auseinandersetzungen zwischen links positionierten und/oder antirassistischen und sich als unpolitisch oder rechts bezeichnenden Fans. Die Herausbildung und offene Positionierung einer nicht-rechten Fankultur, die sich auf vielfältige Weise gegen Rassismus, Homosexuellenfeindlichkeit, Antisemitismus und/oder Sexismus im (eigenen) Stadion engagiert, ist auch ein direktes Ergebnis der Auseinandersetzungen mit rechten oder rassistischen Fans in den eigenen Stadien.
In manchen Städten und Stadien ist das antirassistische und antifaschistische Engagement von Fangruppen etabliert und wird vom Verein mitgetragen. Dort trägt es vielfach Früchte und rassistische und nationalistische Fans können sich im Fußballkontext kaum noch öffentlich präsentieren. An anderen Orten können sich Fangruppen, die sich gegen Rechts stellen, hingegen nicht behaupten. Durch Anfeindungen und Angriffe wurden sie gezwungen, ihr Engagement aufzugeben und mussten in Einzelfällen gar ihre Stadionbesuche einstellen.
Mit den Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) und ihren Ablegern und Nachläufern treten seit dem Sommer 2014 rechte Hooligans und Hooligangruppen unter einem gemeinsamen Label auf. Auch die Bewegung der Patriotischen Europäer gegen die Islamierung des Abendlandes (PEGIDA) erhielt von Anfang an starken Zulauf aus der Fußballszene. Markus Ragusch und Michael Weiss schreiben im Buch »Zurück am Tatort Stadion« über HoGeSa: »Diese ›Alten‹ verstehen die Stadien oder zumindest ›ihre‹ Kurven seit jeher als Refugien einer urdeutschen, reaktionären Männerwelt. Sie wähnten sich quasi unter Artenschutz. Doch ›ihr‹ Schutzraum scheint bedroht: nicht nur durch Verordnungen, ausschließlich alkoholfreies Bier auszuschenken, sondern vor allem auch durch Aktionstage gegen Homophobie, durch Kampagnen gegen Rassismus oder durch Frauen, die in ›ihrer‹ Männerbastion gleichberechtigt mitwirken wollen.« Und weiter: »Es ist keine Repolitisierung, denn entpolitisiert waren sie nie. Vielmehr findet eine Aktivierung bzw. Reaktivierung statt.« 1 Das Aufkommen von HoGeSa verstärkt das Problem mit rechten Fans und Hooligans nicht nur an Fußballtreffpunkten. Mit HoGeSa gelang es, ein gemeinsames rechtes Netzwerk für Anhänger*innen rivalisierender Vereine zu etablieren und den Rechten in den Stadien neues Selbstbewusstsein zu vermitteln. Dass verfeindete Hooligangruppen eine gemeinsame Politik aus den Stadion heraus auf die Straße tragen und beispielsweise zusammen die Ordnungsdienste von PEGIDA oder PEGIDA-Ablegern stellen, offenbart eine neue Qualität der rechten Organisierung im Fußball-Kontext.
Anders als beispielsweise manche Musikszene ist der Fußball keine gesellschaftliche Nische. Populäre Vereine haben in »ihren« Regionen eine herausragende Bedeutung als gesellschaftliche Brennpunkte und Sozialisierungsorte. Was Rechte an den wichtigen Fußballtreffpunkten an Freiräumen gewinnen oder verlieren, spiegelt sich in anderen öffentlichen, gesellschaftlichen Bereichen. Und umgekehrt.
AUTOR*INNEN:
Antje Grabenhorst
Daniel Jacobi
Antje Grabenhorst ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin und aktiv bei
F_in Frauen im Fußball,www.f-in.org
Fussballfans gegen Homophobie e.V., http://fussballfansgegenhomophobie.blogsport.de
1 MARKUS RAGUSCH, MICHAEL WEISS: »Patriotisches Menschenmaterial«, in: Martin Endemann u.a. (Hg.): Zurück am Tatort Stadion, Göttingen 2015